Das aktuelle politische Buch

Arno Esch – Eine Biografie
Natalja Jeske
Herausgeber: Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die
Aufarbei-tung der SED-Diktatur; Schwerin 2021; 451 Seiten, 50
Abbildungen, gebunden. Schutzgebühr 10 Euro; ISBN 978-3-933255-63-1
Bezugsmöglichkeit: Geschäftsstelle der Landesbeauftragten, Telefon 0385-734006, E-Mail: post(ät)lammv.mv-regierung.de
Arno Esch gehörte zu
denjenigen, deren Durst nach Freiheit und Demokratie in unmittelbarer
Folge von NS-Diktatur und Weltenbrand größer war als ihr Streben nach
persönlichem Wohlergehen. Am 24. Juli 1951 wurde er in Moskau
erschossen.
Seitdem ist vielfältig an diesen jungen Rostocker Studenten erinnert
worden. Aber eine umfassende Biografie fehlte. Diese Lücke ist jetzt
durch die Arbeit von Dr. Natalja Jeske geschlossen worden.
Die Autorin zeichnet den gesamten Lebensweg von Arno Esch nach. Sie ist
in seinen Geburtsort Memel (heute Klaipeda) gereist, um Einblick in die
nähere Umgebung während seiner Kindheit und frühen Jugendjahre zu
gewinnen. Sie hat Wegbegleiter gefunden aus der Zeit, in der er als
Flakhelfer zum Kriegsdienst verpflichtet war. Einer seiner Mitschüler
erinnert an sein Auftreten während der Abiturientenverabschiedung in
Grevesmühlen, wo Esch im Herbst 1945 seine Reifeprüfung nachholen
musste. Die Autorin hat Verwandte von Esch gefunden und aufgesucht.
Dadurch konnte Familiäres und ebenso alte Familienfotos in den Text
einfließen.
Die Zeit an der Rostocker Universität und sein Engagement in der
liberalen Partei stehen als große Kapitel im Mittelpunkt dieser
Biografie. In dieser Zeit hat er sich nicht nur im ständigen
Widerspruch mit den Funktionären der immer mächtiger werdenden
SED-Diktatur befunden, sondern eigene Ideen für die Erneuerung des
Liberalismus entwickelt. So geriet er im Herbst 1949 endgültig in die
Fänge der sowjetischen Staatssicherheit. Einer seiner engen Freunde,
Hans-Günther Hoppe, notierte: "Die Ideologen empfanden den von Arno
Esch in Mecklenburg organisierten Liberalismus nicht nur als
politische, sondern auch als geistige Bedrohung. Sein Leben
auszulöschen, erschien ihnen der einzige Ausweg." Am Demmlerplatz in
Schwerin, dem damaligen Zentrum der sowjetischen Staatssicherheit in
Mecklenburg, wurde das Urteil gefällt: Tod durch Erschießen.
Mit sehr viel Sorgfalt hat Natalja Jeske das gesamte Aktenmaterial
ausgewertet und daraus einen gut lesbaren Text erstellt. Ihre
muttersprachlichen Kenntnisse und das Gefühl für die perfiden
Sprachverdrehungen der sowjetischen Vernehmer erwiesen sich dabei als
Glücksfall. Mehr als 1400 Fußnoten belegen ihre Aussagen. Sie zeichnet
so ein Lebensbild von Arno Esch, das es ermöglicht, ihn als Symbolfigur
für den frühen Widerstand und die geistige Erneuerung in der
Nachkriegszeit zu sehen. Und mehr als das: Diese Biografie stellt
gleichzeitig einen Abschnitt deutscher Zeitgeschichte dar.
Arno Esch hat ein Vermächtnis hinterlassen. Karl-Hermann Flach, einer
seiner ganz engen Freunde, der spätere Generalsekretär der FDP, hat die
Gedanken von Esch als programmatische Erneuerung in das Freiburger
Programm der FDP eingebracht. Die Bildung der sozial-liberalen
Koalition ist durch die Ideen von Esch deutlich inspiriert worden.
Natalja Jeske schließt ihren Text mit den Worten: "Er [Arno Esch] soll
nicht ausschließlich als […] glänzender Rhetoriker oder als Opfer des
Stalinismus in die Ge-schichte eingehen. Seine Rolle ist die Rolle des
Gestalters. Er hat sich selbst als liberale Persönlichkeit in
intensiver geistiger Arbeit erschaffen. Er hat die Menschen, mit denen
er geistig verbunden war, nachhaltig beeinflusst. Er hat die Geschichte
über die Grenzen des eigenen Lebens hinaus mitgeprägt."
Alle, die sich mit dem Andenken an Arno Esch verbunden fühlen, schulden
der Autorin großen Dank für diese außerordentlich gelungene Arbeit.
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©VERS 2002 - 2021 letzte Änderung: 6.11.2021